Denise, Mitte vierzig, frustriert von ihrem langweiligen Leben in Deutschland, möchte endlich etwas erleben. Nach einem kurzen, chaotischen Zwischenstopp in den Schwei-zer Bergen landet sie am Lago Maggiore, wo sie Jörn wieder trifft, den sie im Winter flüchtig kennengelernt hatte. Und ehe sie sich versieht, hat sie sich Hals über Kopf in ihn verliebt. Doch das große Glück scheint sie mit ihm nicht gezogen zu haben, denn es passieren merkwürdige Dinge, die sie zwei-feln lassen, und sie spürt instinktiv, dass mit ihm etwas nicht stimmt. Die Umstände werden immer mysteriöser und sie ertappt ihn bei einer Lüge nach der anderen. Wer ist dieser Mann und was hat er mit ihr vor? Es steigen immer mehr Fragen in ihr auf, die nicht beantwortet werden und bald weiß sie nicht mehr, was sie ihm noch glauben kann. Und so schwer es ihr auch fällt, irgendwann muss sie sich fragen, ob der Mann ihrer Träume am Ende nicht ein großer Albtraum ist…
Nachdem der Himmel am Morgen noch sehr bedeckt war, wurde es gegen Mittag immer schöner und die Sonne war schon angenehm warm. So beschloss ich etwas nach draußen zu gehen und das schöne Wetter zu genießen. Auspacken konnte ich auch noch heute Abend, wenn ich wieder zu Hause war. Draußen in der Sonne war es wirklich sehr angenehm warm und ich beschloss ein wenig zum See hinunter zu laufen und mich irgendwo faul in die Sonne zu pflanzen. Ich hatte mein Buch dabei und verbrachte einen schönen ruhigen Nachmittag. Immer wieder legte ich mein Buch zur Seite und streckte mein Gesicht in die Sonne. Es war einfach wunderschön, die warmen Sonnenstrahlen auf der Haut zu spüren und ich hing meinen Gedanken nach. Was hatte ich doch für ein Glück gehabt, hier zu landen. Ich genoss diesen Augenblick in vollen Zügen, bis ich auf einmal von meinem Handy aus meinen Tagträumen gerissen wurde, da ich eine SMS von meinen Kindern erhalten hatte. Sie wollten wissen, wie es mir so geht, mit der Arbeit und ob es mir gefällt und so weiter. Ich schrieb zurück, dass ich gerade erst in meine neue Wohnung gezogen bin und ich es jetzt einfach nur noch schön hatte, dass ich mich dort super wohlfühlte und mein Leben einfach ein Traum war. So ging es eine Weile hin und her, bis alles gesagt war. Sie drückten mir weiterhin die Daumen, dass auch alles so schön bleibt. Dann war wieder Stille um mich herum und ich las noch etwas in meinem Buch, als eine halbe Stunde später mein Handy sich erneut meldete. Nanu, dachte ich, haben die Kinder etwas vergessen? Aber es waren nicht meine Kinder und ich traute meinen Augen kaum: die SMS war von Jörn. Er schrieb mir, dass er seit gestern auch wieder hier im Tessin war und im Moment mit ein paar Freunden zusammen in einem kleinen Lokal saß und fragte mich, ob ich denn nicht Lust hätte, vorbeizukommen. Er beschrieb mir, wo das Lokal war und ich konnte es wirklich kaum glauben, denn es lag drei Häuser neben meiner Wohnung. War das tatsächlich alles möglich? Ich war etwas verwirrt in meinem Kopf. So viele Zufälle auf einmal! Ich dachte kurz darüber nach. Jörn, das war Erinnerung pur an meine katastrophale Wintersaison. Er konnte natürlich nichts dafür, war aber unweigerlich in meiner Erinnerung damit verbunden. Aber – eben nicht nur, denn ich hatte es ihm zu verdanken, dass ich jetzt hier war, denn ohne sein „Dann musst du halt zu uns ins Tessin kommen!“, wäre ich wohl nie hier gelandet, und dafür war ich ihm unendlich dankbar. Und das wollte ich ihm auch gerne persönlich sagen. Also schrieb ich eine SMS zurück, dass ich in einer halben Stunde dort sein würde. Ich packte mein Buch ein und ging nach Hause. Dort zog ich mich um und machte mich ein bisschen zurecht, dann ging ich los und suchte nach dem Lokal. Von meiner Wohnung aus eins, zwei, drei und schon war ich da. Als ich draußen vor dem Lokal stand, dachte ich kurz darüber nach, ob ich ihn denn überhaupt noch erkennen würde, schließlich war es ja nun doch schon einige Zeit her, als ich ihn das letzte Mal gesehen hatte, dazu noch eingemummelt in dicke Winterkleidung. Na, ja, ich musste es darauf ankommen lassen. Ich ging an einer kleinen Terrasse vorbei, auf der einige kleine Tische standen, an denen ein paar Männer saßen und betrat das kleine Lokal. Ich blieb an der Tür stehen und sah mich um. Es war nicht besonders groß und außer ein paar Gästen an der Theke auch sonst niemand da. Ich war etwas irritiert. Sollte er vielleicht einer dieser Männer da draußen sein, an denen ich vorbeigegangen war? Habe ich ihn nicht erkannt? Ich stand etwas verloren da und überlegte, was ich jetzt tun sollte, als auf einmal eine Tür im hinteren Teil des Gastraumes auf ging und ein Mann herauskam. Er kam direkt auf mich zu, aber ich achtete nicht weiter auf ihn, denn ich wollte mich gerade umdrehen und wieder hinausgehen, um mir die Männer auf der Terrasse noch einmal anzusehen, als ich diesen Mann plötzlich meinen Namen rufen hörte. Zuerst stand ich wie angewurzelt, denn ich war total überrascht, dann drehte ich mich langsam um und da stand er nun. Er war der Mann, der aus dieser Tür im hinteren Teil des Gastraumes gekommen war. Ich stand wie vom Donner gerührt. Das konnte doch wohl nicht wahr sein! Ein Mann wie aus dem Bilderbuch: Groß, schlank, braun gebrannt mit strahlend blauen Augen. So stand er da und lachte mich an. „Hey, Denise!“, rief er fröhlich. „Welch Freude dich zu sehen!“ Ich stand da, schaute ihn an und brachte kein Wort über meine Lippen. Er kam die letzten Schritte auf mich zu, nahm mich in den Arm und küsste mich überschwänglich rechts und links auf die Wange. Ich ließ es willenlos über mich ergehen, ich war total geschockt. So umwerfend hatte ich ihn nicht in Erinnerung. Was war nur los mit mir? Nachdem er mich wieder losgelassen hatte, fiel ihm wohl meine Unsicherheit auf, denn er fragte: „Hey, Denise, alles in Ordnung mit dir?“ „Äh, ja, ja“, stammelte ich und rang um Fassung. Allein wie der mich ansah... So eine Situation hatte ich in meinem ganzen Leben noch nicht erlebt, dass mich eine Begegnung mit einem Mann so von der Rolle gehauen hat. Ich wusste nicht, was ich sagen oder tun sollte. Ich war einfach nur fasziniert von dieser Ausstrahlung. Aber er rettete die Situation, in dem er einfach den Arm um mich legte und sagte: „Komm, ich sitze draußen mit ein paar Kollegen, denen möchte ich dich gerne vorstellen.“ Und schon schob er mich sanft zur Tür hinaus. Ich hing in seinem Arm und die Nähe zu ihm raubte mir fast den Atem. Er roch unverschämt gut nach einem tollen Parfüm und alles an ihm strahlte Männlichkeit aus. Was war denn nur los mit mir? So etwas gab es doch gar nicht. Jedenfalls nicht bei mir. Ich ging mit weichen Knien neben ihm her. Er steuerte zielgenau auf einen der kleinen Tische zu, an dem eine Handvoll Männer saßen, zog mich noch ein wenig enger an sich heran und sagte: „Hey Jungs, das ist Denise, von der ich euch erzählt habe. Ein wohlwollendes Gemurmel ging durch die Runde und ich wurde mit großem „Hallo!“ begrüßt. Mir war ganz schwindelig im Kopf. Hatte ich das eben richtig gehört, er hatte den Jungs von mir erzählt? Ich wusste im Moment gar nicht, wie ich das finden sollte. Aber ich hatte auch keine Zeit mehr, lange darüber nachzudenken, denn die Jungs, das waren Antonio, Riccardo, Felipe und Mango – Mango hieß eigentlich Maurizio, aber, weiß der Himmel warum, alle nannten ihn nur Mango – verwickelten mich gleich in ein angeregtes Gespräch. Sie waren sehr angetan von mir und fragten mir ein Loch in den Bauch. Es wurde ein sehr lustiger Nachmittag und wir hatten wirklich viel Spaß miteinander. Die Jungs scherzten mit mir, als würden wir uns schon ewig kennen und wären die besten Freunde, nur Jörn war etwas ruhig. Er saß direkt neben mir, lehnte sich aber oft in seinem Stuhl zurück und wenn ich mich nach ihm umdrehte, sah ich, dass er sehr nachdenklich war. Aber ich hatte nicht viel Zeit darüber nachzudenken. Immer wenn die Unterhaltung etwas weniger wurde, fiel garantiert einem wieder ein neuer Blödsinn ein, über den wir uns dann halb totlachen konnten. Es war wirklich ein sehr vergnüglicher Nachmittag. Mir gefiel die Gegenwart der Jungs und ihre Art mich ständig zum Lachen zu bringen. So verging die Zeit viel zu schnell. Mittlerweile war es schon Abend geworden und Antonio, Riccardo und Felipe verabschiedeten sich, denn sie sollten alle zum Abendessen zu Hause sein. Mango scherzte auch darüber schon wieder und meinte, dass brave Jungs schön folgsam zu ihren Frauen nach Hause müssten, bevor sie Ärger bekämen. Ich bedauerte es fast ein bisschen, dass sich unsere Runde dann so schnell auflöste, aber ich hatte natürlich auch Verständnis dafür, und fand das absolut in Ordnung, dass sie jetzt zu ihren Familien nach Hause wollten. Nur Mango blieb noch, denn er hatte niemanden, der zu Hause auf ihn wartete und deshalb war es völlig egal, wann er nach Hause kam. Ich saß nach wie vor neben Jörn, der, wie schon gesagt, die meiste Zeit in seinem Stuhl zurückgelehnt war. Plötzlich aber rutschte er nach vorne, legte seinen Arm um mich und fragte: „Hast du Hunger?“ Dabei sah er mich sehr liebevoll an. Ich war wieder völlig irritiert und wusste nicht recht, war es eher die Frage, die ziemlich unvermittelt kam, oder sein Blick. Aber ich hatte tatsächlich ein wenig Hunger und das sagte ich auch. Sein Blick ging zu Mango hinüber und er fragte: „Mango, und du?“ Ja, Mango sowieso, so wie der aussah, konnte der immer essen. Jörn stand auf und verschwand im Lokal. Als er weg war, grinste mich Mango breit an und meinte: „Den hat es aber ziemlich erwischt!“ Ich schaute ihn völlig verwirrt an und fragte ihn, wie er das denn meinte. Er grinste weiterhin und sagte: „Ich kenne Jörn lange genug. Der ist doch total in dich verknallt!“ „Rede doch keinen Blödsinn!“, war das Einzige, was ich darauf noch erwidern konnte, denn in diesem Augenblick kam Jörn aus dem Lokal und setzte sich wieder neben mich. Aber dieses Mal saß er nicht im Stuhl zurückgelehnt, sondern richtig neben mir. Ich spürte seine Nähe und mir wurde ganz heiß. Plötzlich kam der Wirt, er hieß Silvio, wie ich gerade erfuhr, mit einer Platte italienischer Vorspeisen und frischem Weißbrot zu uns und stellte alles auf unseren Tisch. Dann verschwand er noch einmal kurz und kam mit Besteck zurück, das er ebenfalls auf den Tisch stellte. „Buon appetito, ragazzi“ meinte er und war wieder verschwunden. Es sah köstlich aus, was Silvio da auf die Platte gezaubert hatte. Jörn sagte: „Ich hoffe, du magst italienische Vorspeisen.“ Und wie ich die mochte! „Ich liebe sie“, sagte ich zu ihm. „Na, dann ist ja gut“, meinte er, drückte mir ein Stück Weißbrot in die Hand und legte mir ein paar getrocknete, in Öl eingelegte Tomaten, ein Stück Schafskäse und ein paar Oliven auf den Teller. „Dann lass es dir schmecken“, hörte ich seine Stimme ganz nah an meinem Ohr. Ich blickte zu Mango hinüber, der sich auch gerade seinen Teller füllte, und sah, dass der ein Grinsen im Gesicht hatte, wie es breiter wohl kaum noch möglich gewesen wäre. Ich wusste ja genau, was das zu bedeuten hatte, aber darüber wollte ich jetzt nicht weiter nachdenken. So saßen wir nun alle drei am Tisch, aßen diese verdammt leckeren Sachen und unterhielten uns, wobei Mango und Jörg sich zwischendurch immer mal wieder kurz über berufliche Dinge austauschten, bei denen ich natürlich nicht mitreden konnte. In dieser Zeit hing ich meinen Gedanken nach und versuchte wenigstens stückweise zu realisieren, was denn heute passiert war. Plötzlich wurde ich aus meinen Gedanken gerissen, als Mango verkündete, dass er jetzt nach Hause gehen müsste. Wir hatten fast alles aufgegessen und waren angenehm gesättigt. Mango zündete sich eine Zigarette an und holte seinen Geldbeutel hervor. Er rief nach Silvio, dass er zum Kassieren kommen sollte und mir wurde schlagartig bewusst, dass ich in ein paar Minuten mit Jörn hier alleine sein würde. Nein, das ging nicht. Auf gar keinen Fall. So zog ich ebenfalls schnell meinen Geldbeutel aus meiner Tasche und sagte, dass ich auch müde sei und nach Hause gehen wollte. Und dann kam auch schon Silvio daher. Mango wollte als Erster bezahlen, als sich Jörn ihn beiseite schnappte und sagte, die Rechnung geht an ihn, was Mango sehr wohlwollend hinnahm. Mir hingegen war es nicht ganz so wohl. Während Jörn noch am Bezahlen war, nahm sich Mango seine Jacke, rief uns ein saloppes „Ciao und grazie amigo“ zu und war weg. Ich glaube, mein Blutdruck stieg innerhalb zwei Minuten auf 300. Jetzt hatte ich genau die Situation, die ich vermeiden wollte – ich war mit Jörn alleine. Mir war gleichzeitig heiß und kalt und mein Herz klopfte wie wild. Seine Nähe war prickelnd ohne Ende, aber auch unerträglich. Ich musste diese Situation beenden und zwar sofort. Gerade als ich Luft holte, um ihm zu sagen, dass ich jetzt nach Hause gehen möchte, hörte ich ihn fragen: „Trinkst du noch ein Glas Wein mit mir?“ Seine Stimme hatte einen so unglaublich liebevollen Klang, wenn er mit mir sprach, dass mir immer ganz anders wurde. Ich nahm allen Mut zusammen, sah ihn an und sagte: „Sei mir bitte nicht böse, aber das möchte ich nicht, denn ich trinke keinen Alkohol.“ Das stimmte zwar, aber es war im Moment trotzdem nur die halbe Wahrheit, denn ich musste hier weg. Ich hielt das nicht aus – seine Nähe, seine Blicke, es ging einfach nicht. Zum Glück akzeptierte er das problemlos. „Gut“, sagte er, „dann bringe ich dich jetzt nach Hause, wo wohnst du?“ Ich musste lachen und sagte: „ Drei Häuser nebenan“. Er sah mich überrascht an und meinte: „Wirklich?“ „Ja, wirklich“, sagte ich, „seit gestern“ und ich erzählte ihm kurz von meinem Umzug hierher. Wir standen auf, und während er mir sehr galant in meine Jacke half, kam Silvio angelaufen und verabschiedete uns. Nach einem kurzen Abschiedsplausch mit ihm gingen wir dann endlich los. Die ersten Schritte gingen wir schweigend nebeneinander her, als er plötzlich seinen Arm um mich legte. Ich zitterte und er fragte mich: „Ist dir kalt?“ Was sollte ich auf diese Frage nur antworten ... Mir war heiß und kalt abwechselnd und gleichzeitig und weiß ich was sonst noch, aber das konnte ich ja schlecht sagen. Also sagte ich: „Ja, ein bisschen.“ Daraufhin zog er mich sanft ein Stückchen näher zu sich heran und ich spürte seinen warmen Körper, was nicht gerade dazu beitrug, dass mein Zittern weniger wurde. So gingen wir dann, wie ein altes Ehepaar, die wenigen Schritte bis zu meiner Wohnung. Er nahm seinen Arm weg und drehte mich zu sich um. „Was machst du morgen?“ hörte ich ihn plötzlich fragen. „Wollen wir uns vielleicht mittags treffen?“ Er hatte nämlich morgen auch frei und das hätte natürlich gut gepasst. Aber das würde auch bedeuten, dass ich den ganzen Tag mit ihm alleine wäre. Nein, das ging nicht! Das würde ich nicht aushalten. Wir standen uns gegenüber und ich konnte im Mondlicht sein Gesicht sehen. Mein Herz schlug bis zum Hals und ich war nicht in der Lage, etwas zu sagen. Er sah mir in die Augen und dieser Blick ging mir durch und durch. Als ich gerade meinen Mund aufmachen wollte, um ihm zu antworten, nahm er seine Hand und strich mir liebevoll eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Diese Berührung war unsagbar zärtlich und ich schmolz dahin wie Himbeereis in der Sonne, und ehe ich auch nur irgendetwas sagen konnte, zog er mich sanft zu sich hin, nahm mich in den Arm und küsste mich. Ich versuchte erst gar nicht mehr mich dagegen zu wehren, denn es war einfach nur noch schön und ich konnte absolut nicht mehr klar denken. Dieser Kuss löste Gefühle in mir aus, die ich so noch nie erlebt hatte. Wie war das möglich? Wie konnte ein Kuss meinen Körper so in Flammen bringen? Ich kannte mich selbst nicht mehr. Was geschah nur mit mir? Mein Herz raste, meine Knie zitterten und mein Kopf war völlig ausgeschaltet. Wir hingen aneinander wie zwei Ertrinkende. Nach einer Ewigkeit trennten sich unsere Lippen wieder. Er nahm meinen Kopf in seine Arme und zog ihn zu sich an die Brust und verbarg sein Gesicht in meinen Haaren. Dabei hielt er mich fest umschlungen und ich hörte, wie er tief atmete. Die Situation war sehr erregend, und wie ich feststellte, nicht nur für mich. Aber gerade deswegen musste sie jetzt beendet werden, wenn sie nicht ganz in einer Katastrophe enden sollte. Ich musste jetzt meinen Kopf einschalten, auch wenn es mir noch so schwer fiel. Und so sehr ich den ganzen Abend über Angst davor hatte, mit ihm alleine zu sein, so sehr hatte ich jetzt Angst davor, ohne ihn alleine sein zu müssen. Aber es ging nicht anders. Wir mussten jetzt und hier aufhören. Ich versuchte mich vorsichtig aus seinen Armen zu lösen und sagte zu ihm, dass ich jetzt gehen muss. Er antwortete mit leiser Stimme: „Ja, ich weiß, aber es fällt mir unendlich schwer, dich jetzt gehen zu lassen.“ „Ja, ich weiß“, sagte ich, „aber es muss sein.“ Ich löste mich nun vollends aus seinen Armen und war gerade zwei Schritte von ihm weggegangen, als er mich noch einmal zu sich hin zog. Er streichelte über mein Gesicht, ich schloss meine Augen und genoss diese Berührung unheimlich. Dann sagte er: „Versprich mir, dass wir uns morgen sehen, ich kann nicht ohne dich sein.“ Es kam fast flehend über seine Lippen. Ich sah in seine Augen und es breitete sich so ein warmes Gefühl in mir aus, dass ich gar nicht anders konnte, als ja zu sagen. Er sah mich überglücklich an und sagte voll Freude: „Ich hole dich ab!“ Dann trennten wir uns endgültig.
Ich fuhr mit dem Aufzug nach oben in meine Wohnung. In meinem Kopf war nur Chaos. Ich war absolut unfähig, auch nur einen klaren
Gedanken zu fassen. Alles ging wild durcheinander. Meine Gedanken überschlugen sich und ich war außerstande, irgendetwas Vernünftiges zu tun. Ich
ließ mich rücklings auf das Bett fallen und starrte an die Decke. Ich dachte darüber nach, was da gerade eben geschehen war. Allein der Gedanke daran brachte mein Herz zum Rasen. Ich versuchte
mir auszumalen, was wohl morgen passieren würde, wenn wir uns wiedersehen. Der Gedanke daran, dass er mich wieder so küssen würde, ließ mir einen Schauer über den Rücken laufen. Es war ein unbeschreibliches Gefühl und mein Herz schlug dabei noch einen Takt
schneller. Ich war total aufgewühlt und an Schlaf war nicht zu denken. Ich stand auf und ging in die Küche. Aber was wollte ich da? Ich hatte keine Ahnung. Ich drehte mich zweimal um mich selbst, in
der Hoffnung irgendetwas zu sehen, was ich jetzt tun könnte, aber es gab nichts. Also ging ich wieder zurück ins Schlafzimmer. Nein, verdammt noch mal, schlafen konnte ich jetzt absolut nicht. Was
sollte ich nur tun? Ich musste mich irgendwie beruhigen, aber wie? Ich rannte in meiner Wohnung herum, wie eine aufgescheuchte Henne und wusste nicht was
ich tun sollte. Ich war einfach zu nichts fähig. Ich rannte zum x-ten Mal in die Küche und wieder zurück. Irgendwann fiel mein Blick auf die Uhr. Es war halb drei in der Nacht und an schlafen war
noch immer nicht zu denken. Wie sollte das nur weitergehen? Wir hatten für morgen ja überhaupt keine Uhrzeit ausgemacht, wann wir uns sehen wollten und so wusste ich auch nicht, wann Jörn hier
auftauchen würde. Es musste etwas geschehen, und zwar sofort. Ich ging wieder in die Küche und machte mir einen Tee. Tee war gut, dachte ich, der beruhigt dich. Ich schnappte mir die Teetasse und
ging auf die Dachterrasse hinaus. Der Mond hing rund und leuchtend am Himmel und hüllte meine Terrasse in sanftes Licht. Ich setzte mich auf einen der Stühle, an denen man die Rückenlehne nach hinten
klappen und so einen Liegestuhl daraus machen konnte, und nippte an meinem Tee. Er war noch ziemlich heiß und so stellte ich ihn auf einen kleinen Tisch, der neben dem Liegestuhl stand. Die Nacht war
zwar nicht wirklich kalt, aber ich fröstelte etwas. Auf einem der Stühle neben mir lag eine Decke und die
nahm ich mir und wickelte mich darin ein. Ja, das fühlte sich schon besser an. So lag ich in meinem Liegestuhl, nippte hin und wieder an meinem Tee und beobachtete den Mond. Die kühle Nachtluft tat
meinem erhitzten Gemüt gut und mein Kopf wurde wieder etwas klarer. Denise, sagte ich zu mir, was tust du hier? Du bist in einem fremden Land mit einem fremden Kerl, den du kaum kennst und du stehst
in Flammen wie ein 16-jähriger Teenager, der zum ersten Mal verknallt ist. Bist du eigentlich noch ganz richtig im Kopf? Diese Einwände waren ja völlig berechtigt und ich hätte sie jedem anderen
genauso gesagt, aber ich konnte nichts daran ändern. Meine Gefühlswelt stand Kopf. Ja, so schnell konnte das gehen. Im Traum hätte ich nicht daran gedacht, dass mir jemals so etwas passieren konnte.
Ich war hier ins Tessin gekommen, um zu arbeiten, nicht um mich zu verlieben. Ich überlegte hin und her. Was sollte das bloß werden? Ich konnte es mir im Moment nicht vorstellen. So hatte ich mein
Leben nicht geplant. Das passte überhaupt nicht zu mir. Ich wollte hier einen schönen Sommer verbringen und
mehr nicht. Und jetzt das. Mein Kopf und mein Verstand sagten nein, aber mein Herz sagte etwas ganz anderes. Verdammt noch mal, was für eine Situation! Und über dieser ganzen verflixten Nachdenkerei
war ich dann irgendwann doch eingeschlafen.
Ich
weiß nicht, wie spät es war, aber als ich aufwachte, war es heller Tag und die Sonne stand am Himmel und lachte mir ins Gesicht. Ich war völlig verwirrt, mich im Liegestuhl auf meiner Terrasse
vorzufinden und musste mich erst einmal sortieren. Was um alles in der Welt machte ich hier, und vor allem wie spät war es denn? Aber in der gleichen Sekunde fiel mir alles wieder ein. Der
gestrige Abend mit Jörn und dass ich mich auf die Terrasse gesetzt hatte, weil ich nicht schlafen konnte. Und dass ich heute mit ihm verabredet war und nicht wusste wann. Oh, mein Gott, wie spät
war es denn jetzt? Ich sprang von meinem Liegestuhl und rannte hinein, um auf die Uhr zu sehen. Es war 10 Uhr. Ich wusste nicht, wie lange ich geschlafen hatte, aber so wie ich mich fühlte wohl
eher kurz. Aber ich war jetzt total aufgedreht. Ich wusste nicht, was ich zuerst machen sollte. In meinem Kopf war ständig nur die Frage: Wann kommt er? Ich rannte in meiner Wohnung herum,
unfähig einen klaren Gedanken zu fassen, als sich plötzlich mein Handy meldete. Aber wo war das? Wo hatte ich das gestern Abend nur hingelegt? Ich konnte mich gerade nicht erinnern. Also machte
ich mich in Windeseile auf die Suche und fand es dann endlich in der Küche neben dem Wasserkocher. Da hatte ich mir doch gestern Abend den Tee gemacht und es wohl dort liegen gelassen. Aber so
verwirrt, wie ich da war, war es kein Wunder, dass ich mich daran nicht mehr erinnern konnte. Auf jeden Fall war ich glücklich, als ich es gefunden hatte. Es zeigte mir eine ungelesene Nachricht
an. Ich sah, dass sie von Jörn war und öffnete sie. Dabei merkte ich, wie sich ein Lächeln auf mein Gesicht schlich. Allein schon seinen Namen zu lesen genügte, um ein schönes Gefühl in mir
auszulösen. „Guten Morgen meine Lotusblüte, vermisse dich, kann es kaum erwarten dich wieder zu sehen. Möchte dich am liebsten gleich abholen kommen.“ Gleich!? In mir erwachte helle Panik. Nein,
das ging auf gar keinen Fall. So wie ich hier herumlief, war ich absolut nicht salonfähig. So konnte und wollte ich ihm nicht unter die Augen treten. Das musste auf alle Fälle verhindert werden. Ich brauchte noch mindestens eine Stunde Zeit und das schrieb ich ihm
dann auch zurück. Daraufhin kam die Antwort: „Hole dich um 12 Uhr ab, freue mich auf dich.“ Uff, das wäre geschafft. Bis 12 Uhr waren es noch knapp eineinhalb Stunden, das war genug. Da konnte
ich in aller Ruhe duschen gehen und mich richten. Nachdem diese Zeitfrage nun geklärt war, hatte sich auch meine Panik ziemlich schnell wieder gelegt und ich dachte an die erste Nachricht, die er
mir geschrieben hatte. „Lotusblüte“ hatte er mich da genannt. Das hatte auch noch niemals zuvor jemand zu mir gesagt. Also, einfallsreich schien er ja jedenfalls zu sein. Und ich hatte das
seltsame Gefühl, dass das noch nicht alles war, was mich erwarten würde...,
aber was dann tatsächlich noch kam, sprengte alle meine Vorstellungen, denn das hätte ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht ausmalen können, dass so etwas jemals
in meinem Leben passieren würde...
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